Wesen - Abwesend

Veröffentlicht am 21. Oktober 2024 um 18:47

Ich halte hier gerade ein schönes Stück Tiroler Black Metal Zeitgeschichte in den Händen. Ein Stück Vinyl in Blau und Rot gehalten, mit einem sehr abstrakten, doch vielsagenden Cover in denselben Farben. Dies beschreibt meiner Meinung nach den unvermeidlichen Fall ins Leere, den jeder von uns schon einmal miterlebt hat. Der Name “Perchta“ und “Lichtspielhaus” dürfte nicht nur den eingefleischten Fans von Post Black Metal ein Begriff sein. Doch nun zum WESENtlichen. Lukas hat ein Soloprojekt namens “Wesen” ins Leben gerufen und seine EP "Abwesend" halte ich hier in meinen Händen. Songwriting und Produktion der Erscheinung hat Lukas im Alleingang bestritten. Hilfe hat er sich nur beim Mastering von seinem Bruder Markus Massinger (Lichtspielhaus) geholt. Also ist es sozusagen ein Familienprojekt. 

 

Wie das verspielte Cover schon erahnen lässt, ist die Musik keineswegs der herkömmliche Black Metal, der Tod und Teufel huldigt. Das Hauptthema der EP ist meiner Meinung nach Melancholie und seelischer Verfall, den Lukas versteht, mit den verschiedensten Hilfsmitteln auszudrücken. So spontan fällt mir da die Synthesizerpassage bei “Hilflos” der dritte Titel der EP ein. Damit verbaut er ein Stück Filmmusik der 80er in seiner Musik. Aber nun alles auf Anfang … die EP ist bereits am 13. September 2024 erschienen. Ich habe mir jedoch, um nicht zu verpassen, das ganze Album auf Bancamp angehört.

 

Der erste Titel “Sterbe ich wieder” verbindet bereits zum Anfang Frieden mit Dramatik, sanftes Gitarrenzupfen, das sich immer weiter aufbaut und in einen fließenden Riff übergeht. Man hat das Gefühl, sein bisheriges Leben zieht am eigenen inneren Auge vorbei. Die Melancholie in diesem Titel lädt einfach ein, komplett auf die Melodie einzugehen und sich von ihr tragen zu lassen. Mit ihr gleitet man leicht wie eine Feder bis zum Ende des Titels.

 

“Hilflos” ist, wie bereits erwähnt, einer der Titel, die für mich herausstechen. Er überrascht durch verschiedenste Einflüsse, die sich hier vereinen. Langsam und düster führt uns Lukas in eine Welt der Klänge, die immer tiefer ins Schwarze abdriften. Das Spiel zwischen Hoffnung und Enttäuschung untermalt von der Kreativität einer, wie es scheint, gequälten Seele. Abstrakte Bassrhythmen lockern das Ganze zwischenzeitlich etwas auf, nehmen dem Titel aber seine Dunkelheit nicht. Der Refrain enthält eine Textpassage, die es mir besonders angetan hat. Eine neue Saat wurde mir gegeben. Es liegt an dir, sie weiterzugeben. Vielleicht ein Synonym für "Jeder ist seines Glückes Schmied?"

 

“Fall” hart, düster und kraftvoll. So könnte man den Titel vielleicht am verständlichsten beschreiben. Mit seinen thrashigen Einbettungen kommt das Headbangen auf keinen Fall zu kurz. Aber auch einiges erinnert an den guten alten Heavy Metal. Ein Potpourri an Stilen, die am Ende aber doch im Black Metal münden. Auch hier lockern Synthesizerpassagen das geshredere auf und machen die schwere Kost, die uns auf diesem Album serviert wird, zusammen mit sanften Akustikklängen, bekömmlicher. Hier vereinen sich Riffs, die man so zusammen nie erwartet hätte.

 

“Abwesend” macht zuerst den Anschein, die Ballade des Albums zu sein. Anfangs könnte man sogar meinen, man hört hier die Engelschöre des Himmels singen. Doch dann findet dieser Titel doch wieder auf den rechten Weg und die Hölle breitet sich wieder aus. Harte Riffs prasseln auf einen ein und bringen die gewohnte Stimmung wieder zurück. Nicht dass ich hier das Sanfte schlechtreden will, aber hier eine minutenlange Ballade wiederzufinden, wäre mir doch etwas weit hergeholt vorgekommen. Auch wenn der Gesang auf diesem Titel sehr melodisch bleibt, wird hier der Absturz, den man mit dieser Musik macht, nicht gebremst. Manchmal tut es einfach gut, sich von der Melancholie tragen zu lassen, und das macht Lukas mit diesem Album. Es muss nicht immer alles bunt sein, um seinen Frieden zu finden. Man kann sich auch in der Dunkelheit sicher fühlen. Und das beweist uns Wesen hier sehr anschaulich. Nicht jeder Fall ist ein Absturz. Zuerst fühlt es sich immer an, als würde man fliegen. Was man daraus macht, ist jedem selbst überlassen. Wenn man die fließenden Melodien am Ende hört und sich davontragen lässt, kann man vielleicht doch den Eindruck bekommen, dass "Abwesend" die Ballade des Albums ist. Aber hör doch selbst rein und bilde dir deine Meinung.

 

“Frei von mir" ist am Anfang eine sehr blousige Nummer und nimmt dann fast den Charakter eines Liebesliedes an. Gänsehaut lässt sich bei genauem Zuhören hier nicht vermeiden. Die Flucht vor einem selbst kann sehr befreiend sein. Sich von den Charakterzügen, die einem selbst nicht guttun, zu lösen, ist aber nicht immer so einfach. Dieser Titel scheint einem auf verschiedenste Art und Weise die Kraft für die Trennung zu geben. Musikalisch passt der Titel eigentlich nicht ins Konzept, aber ohne ihn würde etwas fehlen.

 

“Ich suche dich” mit diesem Titel wird mir klar, dass das Album nicht etwa einen Absturz oder den Sturz ins Chaos nachempfindet, es könnte auch sein, dass die blaue Silhouette auf dem Cover einfach nur schwebt und die Abwesenheit von Negativität darstellt. Die Melodien werden von Titel zu Titel immer weniger drückend und weisen immer mehr Leichtigkeit auf. All das ist jedoch Ansichtssache, was für den einen ein Fall ist, kann für den anderen ein Flug sein und dieses Gefühl bekomme ich immer mehr. Die Reue, alles in einem falschen Licht gesehen zu haben und dadurch falsche Entscheidungen getroffen zu haben, wird zur Erkenntnis. Beim ersten Titel hätte ich niemals gedacht, dass sich das Konzept des Albums in diese Richtung entwickelt. Aber zwei Titel haben wir noch vor uns und vielleicht ist es eine List und wir werden nur in Sicherheit gewogen, bevor wir den Gnadenstoß bekommen.

 

“Kalt - Single Edit” alles wird langsamer und scheint zu erstarren. Die Lyrics laufen rückwärts … vielleicht ein Hinweis darauf, dass wir bewusster leben sollen und die Emotionen, die wir empfinden, als das akzeptieren, was sie sind. Denn am Ende zu bereuen, nichts gefühlt zu haben, ist zu spät. Wird denn dies mein Ende sein? Die Frage, die mich in diesem Titel am meisten beschäftigt. Emotionen, die von postmodernen Melodien durch den Titel getragen werden, laden zum Nachdenken ein. Die Suche nach Erlösung und die Erkenntnis, dass man diese nur durch das Verzeihen erreichen wird. Auch wenn die Furcht groß ist, ist man wieder mal des eigenen Glückes Schmied. Die Melancholie herrscht im Herzen.

“Last” bringt zum Schluss noch einmal eine gewisse Leichtigkeit mit sich. Dieser erste Eindruck wiegt einen aber nur in Sicherheit, bevor die Last der Melodie auf einen niederprasselt. Dunkel, verzweifelt und doch bis zu einem gewissen Grad schwebend. Durch den Melodienfluss geben sich die verschiedenen Passagen die Hand. Seine gesamte Kreativtätspalette stellt Lukas hier zum großen Finale noch ein letztes Mal zur Schau. Man bekommt sozusagen ein Résumé der Emotionen, um keine Erkenntnis zu vergessen, dargeboten.

 

Abwesend von Wesen ein Review, von dem ich nicht gedacht hatte, dass es mich in diese Gefilde eintauchen lässt und so viele Emotionen weckt. Manche werden mich vielleicht für verrückt erklären, aber so etwas kann sich entwickeln, wenn man die Musik wirklich fühlt. Ich kenne auch die anderen Projekte von Lukas, und auch diese haben mich emotional gefangen. Abwesend hat dem ganzen jedoch die Krone aufgesetzt. Wenn ein Musiker emotional so berührt, hat er wahrlich etwas Wunderschönes geschaffen, und ich hoffe, dass es dir beim Hören von seiner Musik genauso geht.

 

In diesem Sinne

 

Cheerz

 

Der Baer🤘🏻🐻🤘🏻

 

Bandcamp:


https://wesen1.bandcamp.com/album/abwesend

 



Du willst nichts mehr verpassen? Dann folge mir auf

Kommentar hinzufügen

Kommentare

Es gibt noch keine Kommentare.

Erstelle deine eigene Website mit Webador